Danny, John und Harry
von lschnabl
Als der Vietnamkrieg 1975 endet, lassen viele US-Soldaten Freundinnen und Kinder zurück. Noch heute suchen Vietnamesen nach Hinweisen zu ihren Vätern. Von Barbara Bachmann und Lena Schnabl (Süddeutsche Zeitung, 23.12.2015)
Nhung Anh Phan spricht kein Wort Englisch, sie war noch nie in den USA, aber sie sagt: „Ich bin Amerikanerin.“ 1972 wurde sie in einem Gefängnis im Süden Vietnams geboren, als Tochter eines amerikanischen Soldaten und einer Vietnamesin ist sie auch Gefangene ihrer Herkunft. Ihre Haut ist heller, und die Augen sind runder als die der meisten Vietnamesen. Als sie 18 war, begann sie nach demjenigen zu suchen, der für ihr Anderssein verantwortlich ist.
Menschen wie Nhung Anh Phan haben in Vietnam zwei Namen: Amerasians ist der neutralere Name, wenn die Mütter Vietnamesinnen und die Väter US-Amerikaner sind. Oft werden sie aber auch „My Lai“ genannt, nach dem Ort, in dem eines der schlimmsten Massaker während des Vietnamkrieges stattfand. Weil die Mischlingskinder das Antlitz des Feindes tragen, wurden viele von ihnen weggegeben oder aufs Land gebracht, dorthin, wo niemand sie sehen konnte. Später wanderten etliche US-Nachkommen in die Heimat ihrer Erzeuger aus, andere blieben.
Nhung Anh Phan, zweimal geschieden, drei Kinder, lebt in der Nähe des Flughafens von Saigon. In dieser Gegend waren während des Krieges viele US-Soldaten stationiert. Im Vorderzimmer hat sie einen kleinen Laden, in dem sie Shampoo, Zigaretten und Fischsoße verkauft, dahinter liegen Bad und Schlafzimmer. Hier sitzt sie täglich von frühmorgens bis abends auf ockerfarbenen Plastikstühlchen und wartet auf Kundschaft. In den Gassen hupen Mopeds und winden sich Stromkabel. Es riecht nach frittiertem Fisch, Regen schlägt auf das Blechdach.
Die robuste Frau weint, wenn sie von ihrer Kindheit erzählt. Ihre Mutter saß mehrere Jahre ein wegen Drogenhandels. Als Nhung Anh Phan zehn Tage alt war, nahm die Zellengenossin der Mutter, eine Schmugglerin und Schweineschlachterin, das Baby mit nach draußen. In Nha Trang, einem Küstenort, wuchs sie mit zwei Stiefgeschwistern auf. „Sie quälten mich, wann immer sie konnten“, erzählt sie.
Auch in der Schule wurde sie gehänselt. Der Lehrer sagte: „Du bist anders.“ Mit zwölf Jahren verließ sie ihr Zuhause und lebte fortan in Saigon, rund 500 Kilometer südlich von Nha Trang, mit anderen Amerasians auf der Straße. Sie, die Andersartigen, schlugen sich gemeinsam durch.
Mit 24 Jahren traf sie zum ersten Mal ihre Mutter, ein ehemaliges Bar-Mädchen. „Ich verstand plötzlich, warum sie mich damals weggab“, sagt Nhung Anh Phan. „Aber Liebe spürte ich keine.“ Sie fragte nach ihrem Vater, die Mutter nannte ihr einen Namen: Harry David Swaney. Er war Fahrer während des Krieges gewesen. „Ein guter Mann“, sagte die Mutter, „aber mit vielen Problemen.“ Auch er war wie so viele zu dieser Zeit süchtig nach Drogen. Sie lernten sich in ihrer Bar kennen, er saß allein am Tresen, verlangte Wein und sagte: „Vietnamesinnen sind schlechte Mädchen.“ So begann die kurze Romanze.
Den Namen ihres Vaters gab Nhung Anh Phan schließlich an die Organisation Father Founded weiter, die versucht, Kinder und ihre Väter zusammenzubringen. Obwohl die Suche heute über das Internet schneller und effizienter verläuft, ist sie in vielen Fällen aussichtslos, weil die nötigen Informationen fehlen. Oft kannten die Vietnamesinnen nur die Vornamen der Männer – Danny, John, Harry -, aber ohne ihre Funktion beim Militär und die Heimatadresse hilft das nicht weiter.
Die wenigen Erinnerungen, Briefe und Fotos, die den Frauen von der Liebe blieben, verbrannten sie oftmals nach dem Krieg. Sie fürchteten die Verfolgung durch das nordvietnamesische Militär und Jahre im Umerziehungslager. Nhung Anh Phan hatte genug Informationen: Harry D. Swaney, stationiert in der Provinz Nha Trang, Fahrer. 2004 konnte ihn die Organisation tatsächlich ausfindig machen.
Vater und Tochter schrieben sich nun regelmäßig E-Mails. „Die Albträume sind vorbei. Es ist Zeit, wieder zu leben“, schrieb er, schloss seine Nachrichten mit „Umarmungen und Küsse, Daddy“, und träumte von einem gemeinsamen Leben in Kalifornien mit seiner „lieben Tochter“, den Enkelkindern und seinem Schwiegersohn. Im März 2006 reiste Harry D. Swaney nach Saigon, gemeinsam fuhren sie in ein Labor, um mithilfe eines DNA-Tests ihre Verwandtschaft schwarz auf weiß zu besiegeln.
Doch der Test ergab: Harry D. Swaney ist nicht Nhungs Vater. Er reiste sofort ab. Kein Brief mehr, kein Telefonat, keinen Kontakt. Das Ende einer Vaterschaft.
40 Jahre nach Ende des Vietnamkrieges fragen sich nicht nur die heute erwachsenen Kinder, wer ihre Väter sind. Auch einige Männer wollen wissen, was aus ihren asiatischen Liebschaften geworden ist – und ihren Kindern. Einer von ihnen ist Jim Reischl, 68, der irgendwo in Minnesota jeden Tag vor dem Bildschirm sitzt und Bilder aus der Vergangenheit postet. Darauf sieht man ihn, runde Brille, das dichte braune Haar seitlich gekämmt, wie er 1969 seine Freundin im Arm hält.
Jim Reischl war 22 Jahre alt, als er auf dem Luftstützpunkt der US-Armee in Saigon landete. Er arbeitete im Kommunikationszentrum und übermittelte zwölf Stunden am Tag Nachrichten von der Front zu den Entscheidungsträgern. Drei Monate lang traute er sich nicht, die Luftwaffenbasis zu verlassen. Erst als die Langweile größer wurde als die Angst vor dem Feind, ging er mit Freunden in eine Bar. „Ich war der Einzige, der keine vietnamesische Freundin hatte.“ Da lernte er Hoa Linh kennen.
Fortan trafen sich die beiden regelmäßig, seine freie Zeit verbrachte er nun mit ihr. Jim Reischl mietete dafür ein Apartment an, unterhalten konnten sie sich nur in gebrochenem Englisch. „Sie war ein angenehmer Zeitvertreib“, sagt er heute. Und verbessert sich schnell: „Eigentlich war sie meine erste Liebe.“
Wie viele andere Soldaten blieb auch er nur ein Jahr in Vietnam. Als er Hoa Linh mitteilte, dass er in wenigen Wochen nach Hause zurückkehren müsse, bat sie ihn zu bleiben. Sie sei schwanger. „Ich habe ihr nicht geglaubt“, sagt Jim Reischl. Vor der Zeit in Vietnam hatte man die jungen Soldaten vor den Frauen dort gewarnt. Sie würden einem viel erzählen, weil sie das Land verlassen wollten. „Ich war jung und dumm. Und ich wollte nur nach Hause.“
Zurück in den USA schrieb er Hoa Linh einen Brief. Eine Antwort bekam er nie. Jim Reischls Leben nahm seinen Lauf, mit schlecht bezahlten Jobs und einem Studium, das er bald wieder schmiss. Als er heiratete, warf er Hoas Adresse weg. Ein mögliches Kind? Jim begann zu vergessen.
Erst nach der Scheidung im Jahr 2001 holte er die alten Fotos wieder hervor. Was mag aus ihr geworden sein, fragte sich der zweifache Vater und begann, nach Hoa Linh zu suchen. Im Internet stieß er auf lange Listen von Kindern, die ihre Väter suchen. US-Soldaten, die in den Sechzigerjahren in Vietnam stationiert waren. Männer wie ihn.
Als Jim das erste Mal wieder nach Saigon zurückkehrte, weinte er. „Ich dachte, ich würde das Land nie wiedersehen.“ Doch von seiner damaligen Freundin keine Spur. Im September 2015 veröffentlichte er in einer vietnamesischen Zeitung einen Brief – und tatsächlich meldete sie sich eine Woche später. Erst jetzt erfuhr er, dass sie damals nicht verstanden hatte, warum er abreiste. „Sie glaubte, ich wollte sie einfach nicht mehr treffen“, sagt Jim Reischl. Und erst jetzt hörte er, wie ihr Leben weiterging: Hoa Linh brachte eine Tochter zur Welt, doch mit dem amerikanischen Baby im Bauch traute sie sich nicht mehr nach Hause zu ihren Eltern. Sie gab das Kind nach der Geburt in die Obhut einer Freundin, doch bald war diese Freundin unauffindbar. „Sie hat das Baby gestohlen“, sagt er.
Auch wenn weder Vater noch Mutter wissen, was mit ihrem Kind geschah, vermuten sie es in den USA. 1987 erließ die US-Regierung den American Homecoming Act, der es Amerasians ermöglichte, legal in die Heimat ihrer Väter zu immigrieren. Rund 23 000 Halbvietnamesen nahmen das Angebot an, der Staat übernahm die Verantwortung, vor der sich so viele junge, unerfahrene Männer drückten.
Jim Reischl möchte Anfang Januar wieder nach Vietnam, um seine alte Liebe zu treffen. Rein freundschaftlich, sagt er. Hoa Linh lebt im Mekong-Delta, sie ist verheiratet und Mutter zweier erwachsener Kinder. Von ihrem US-Geliebten und einer verschollenen Halbschwester hatte sie ihnen nie erzählt. Erst der Artikel in der Zeitung hat ihre Vergangenheit offengelegt, ihr Sohn fürchtet jetzt um den Ruf der Familie. In dieser konservativen Gesellschaft gilt es immer noch als Schande, sich damals mit einem US-Soldaten eingelassen zu haben – schlimmer noch: als ledige Frau ein Kind von ihm bekommen zu haben.
Viele Kinder, die heute längst erwachsen sind, leiden darunter, so wenig über ihre Herkunft zu wissen. So wie Nhung Anh Phan, die Krämerin aus Saigon. Nach dem Wiedersehen mit dem falschen Vater hat ihr die Mutter noch einen zweiten Namen genannt hat: Matt Mc Green, Frontsoldat, getötet im Kampf. Ein Vater also, der nicht gefunden werden kann. Nhungs Suche hat ein Ende.