Bert macht Blubb
von lschnabl
Backen soll entspannen und uns zu unseren Wurzeln zurückführen. Unsere Autorin möchte das auch. Aber wieso ist sie dann so gestresst, seit zwei Sauerteige in ihrem Kühlschrank stehen? Von Lena Schnabl (Das Magazin, Oktober 2021)
Es fängt damit an, dass mein Vater mir ständig Fotos von selbst gebackenen Broten schickt. Er hat zwei Sauerteige aufgezogen, die er Ernie (Weizen) und Bert (Roggen) nannte, sich ein Backbuch gekauft und seitdem kommen die Bilder: Baguette, Mischbrot, Brezen. Alles sieht fantastisch aus. Und mein Vater wirkt stolz und ausgeglichen. Eine Sekunde lang denke ich darüber nach, wieder zuhause einzuziehen, dann ziehen die Nachkommen von Ernie und Bert bei mir ein.
Die erste Woche stehen sie einfach im Kühlschrank und ich gehe ehrfürchtig an ihnen vorbei. Ich glaube, dass sie mich vorwurfsvoll anschauen, als ich die Butter, die neben ihnen liegt aus dem Kühlschrank hole. Mein Vater sagt, Sauerteig sei weder schwierig noch aufwändig. „Ein bisschen wie ein sehr genügsames Haustier.“ Einmal die Woche müsse ich sie füttern. Zum Backen sollen sie möglichst frisch gefüttert sein. Je nachdem, welches Brot man backen wolle, verwende man den passenden Sauerteig. Ich will Hamburger samt Brötchen machen, also füttere ich. Ich stelle ein leeres Marmeladeglas auf die Küchenwaage, gebe zu gleichen Teilen Wasser und Mehl hinein und zuoberst einen Suppenlöffel Bert. Ich verrühre den Brei, gebe ein Haushaltsgummi um das Glas, um eine Richtmarke zu haben, und warte. Ich bin nervös. Wieso macht Bert nichts?
Nach ein paar Stunden fängt Bert an zu wachsen. Bert treibt nach oben. Bert macht Blubb.
Am nächsten Morgen dann der erste Teig. Eine klebrige Masse, die kaum von den Fingern runtergeht. Im Rezept steht, ich solle dehnen und falten, irgendwelche Stockgaren beachten und zwanzig Stunden später schließlich Brötchen rundwirken. Erste Sauerteig-Lektion: Ich verstehe gar nichts. Rezepte enthalten Wörter wie: Anstellgut, Levain, Kochstück, Quellstück, Brühstück, Autolyse, Fermetolyse, Stückgare, Stockgare. Fast habe ich den Eindruck, die Sauerteigbäcker machen das mit Absicht. Eine Geheimwissenschaft, die sich nur wenigen erschließt. Schließlich könnten sie statt Anstellgut oder Levain oder Weizensauer auch einfach „Sauerteig“ schreiben und statt Autolyse, Fermetolyse und diversen Garen einfach „Warten“.
Warten darf man mit Sauerteig reichlich. Die zweite Lektion also: Alles dauert. Ewig. Wer backen will, muss zwei Tage vorher bereits Vorbereitungen treffen. Manche nennen das: angenehm entschleunigend. Ich finde es gerade vor allem schade, dass die Brötchen einen Tag länger dauern als ich dachte und ich mir deswegen jetzt ein anderes Abendessen überlegen muss. Aber vielleicht muss ich einfach noch lernen, mich auf die gedrosselte Geschwindigkeit, die in meine Küche gezogen ist, einzulassen. Zehn Minuten später esse ich Nudeln mit Pesto und füttere noch Ernie, schließlich will ich irgendwann auch noch ein Brot backen.
Am nächsten Tag forme ich also Teigkugeln und außer, dass sie in den nächsten Stunden Teigruhe, also „Warten“, auf dem Blech auseinanderlaufen, passiert erstmal nichts. Auch nicht beim Backen. Ich habe winzige, feste Fladen, so flach, dass ich sie kaum auseinander schneiden und belegen kann, muss aber feststellen, dass sie schmecken. Der Teig, den ich für den nächsten Tag vorbereite, ist unglaublich weich und wird dann auch auf dem Blech zerfließen. Ich beäuge das vielleicht zwei Zentimeter hohe Ding kritisch, als ich es aus dem Ofen ziehe und frage mich, ob sich das alles lohnt, denn anders als die Brötchen schmeckt es mir nicht. Als ich ein Bild an meinen Vater schicke, lobt er mein erstes Sauerteigbrot für die „doch sehr hübschen Blasen“.
Zwei Wochen und drei Brote später. Ich bin kurz davor alles abzubrechen, Ernie und Bert verhungern zu lassen, oder direkt in den Müll zu kippen, vielleicht auch nur einzufrieren, um sie irgendwann wieder zum Leben zu erwecken. Aber ich füttere sie weiter, alles andere wäre doch grausam, oder nicht? Und manchmal schmecken die aus ihnen entstandenen Brote sogar. Trotzdem habe ich das Gefühl, den beiden nicht gerecht zu werden.
Einen Monat später. Ich schreibe mittlerweile fast täglich mit einer Freundin, die 600 Kilometer entfernt ebenfalls mit Sauerteig angefangen hat. Wir schicken Bilder unserer Sauerteige im Marmeladeglas, der Vor- und Hauptteige, der fertigen Brote. Teilweise verbringe ich nun Stunden auf Backblogs. Vergleiche Rezepte, mache Screenshots und Lesezeichen. Scrolle durch Instagram, schaue ein Video nach dem anderen. Jedes hat einen anderen Tipp für mich parat. Einer sagt: Jahrelang habe es nicht geklappt mit ihm und Sauerteig, aber dann holte er sich ein PH-Messgerät und ein Teigthermometer und seitdem: alles supi. Ich denke: Was für Freaks. Dann fällt mir auf, dass ich mittlerweile auch einige neue Utensilien habe: Teigschaber zum Formen, Gärkörbchen zum Ruhen, Rasierklingen zum Anschneiden. Und einen Gußeisentopf mit Deckel. Mein Vater hat natürlich keinen, meine Freundin auch nicht, aber die ganzen Bäcker auf YouTube eben schon. Der Effekt eines solchen Topfes ist Bedampfen. Die Kruste soll sich durch das Saunaklima erst später bilden, das Brot dadurch weiter nach oben treiben.
Ich bleibe beim nächsten Video hängen, in dem einfach ein Laib Brot gebacken wird. Weil die Bäckerin irgendwann von den chemischen Prozessen der Glutenstruktur erzählt, drifte ich ab. Um die wichtigsten Informationen mitzubekommen, schaue ich es sicher dreimal hintereinander an. Beim nächsten Versuch halte ich mich strikt an die Anweisungen. Zwei Tage später halte ich ein immer noch verhältnismäßig flaches, aber dennoch einigermaßen hübsches und vor allem leckeres Brot in den Händen. Es ist der erste Moment, in dem ich denke: Wow, Sauerteig, geil!
Tage, an denen ich weder füttere, noch falte, noch backe, sind selten geworden und sie fühlen sich falsch an. Irgendwas fehlt. Ich frage mich, was das für ein seltsames Hobby ist. Meine Freundin schreibt: „Es ist eine Sucht“. Als sie später eine kurze Pause einlegt, also EINEN Tag nichts mit Teig macht, und ich sie frage, wie es ihr damit geht, sagt sie: „Ich denke die ganze Zeit nur an Brot.“ Es gibt ganze Bücher, die behaupten Backen sei meditativ. Die Arbeit mit dem Teig und so weiter. Was mit den Händen machen. Ein toller Ausgleich. Blabla. Gleichzeitig ist die Gemeinschaft der Hobbybäcker im Internet auch nicht anders als die der Fitness-Influencer. Statt trainierten Hintern, werden knackige Krusten und saftig fluffige Krumen abgelichtet. Und mich hat der Ehrgeiz gepackt. Ich will auch solche Brote backen. Das perfekte Laib.
Gedanken an Teig schleichen sich in meine tägliche Morgenmeditation. „Wieso war Ernie gestern so langsam? Habe ich ihn vernachlässigt?“ „Wenn ich als nächstes ein reines Dinkelbrot backe, muss ich noch einkaufen gehen.“ „Wie geht es Bert überhaupt?“ So abgelenkt bin ich sonst nur, wenn gerade die Steuererklärung ansteht. Kann es sein, dass Brot für mich nicht nur gar nicht meditativ ist, sondern sogar anti-meditativ? Ist es nicht immer wieder nervenaufreibend, Stunden in diesen Teig zu investieren, auch wenn das meiste davon Warten ist, nur um beim Öffnen des Topfes enttäuscht zu sein?
Es gibt Momente wie diesen hier: Eine Freundin will sich spontan treffen. Aber ich kann nicht, weil ich ja noch vier Stunden lang jede halbe Stunde falten und dehnen muss. Oder wie diesen: Der Teig hat sich vor einem Termin nicht so entwickelt wie er sollte, ich hadere: Termin absagen? Teig vorher formen? Warten? Ich entscheide mich, nach dem Termin weiterzumachen und denke während des Termins viel an den Teig zuhause. Der natürlich dann drüber ist und beim Backen zusammenfällt. Und es gibt Momente wie diesen: Teig und ich in perfekter Harmonie, er macht, was ich will — oder ich, was er will, so genau kann man das bei Sauerteig nie sagen —, als ich den Deckel des Gußeisentopfs anhebe, bin ich regelrecht verzückt. Beim Abkühlen knackt und knistert das Laib verführerisch. Auch das Anschneiden durch diese super knusperige Kruste macht Spaß. Aber als ich hineinbeiße, stelle ich fest, dass das weniger hübsche vorgestern irgendwie doch besser geschmeckt hat.
Ich lese jetzt auch die Kommentare diverser Backblogs. Ich bin hier nicht die Einzige mit verzerrten Brotansprüchen. Fast jeder, der Rezepte nachbackt, bemängelt etwas, viele fragen: Was habe ich falsch gemacht? Auch bei Instagram kommentieren die Hobbybäcker ihre perfekt scheinenden Broten selbstkritisch. Die Luftblasen seien zu groß, zu klein, zu unregelmäßig. Die Kruste zu dick, zu dunkel, zu hell. Es gibt sogar Teige, die vollkommen normal aussehen, aber deren Unterschrift lautet: „Ein Teig, den nur die Mutter lieben kann“. Entspannung sieht anders aus.
Drei Monate mit Ernie und Bert. Ich habe echt viel gelernt. Aber auch wenn ich jetzt nicht mehr nach einem strikten Zeitplan arbeite, sondern versuche, vor allem den Teig zu beobachten, jedes Brot wird anders — und meistens anders als erwartet. Lektion drei: Sauerteige führen ein Eigenleben. Es ist Wissenschaft, aber auch Gefühl und irgendwie auch Mystik. Ernie und Bert machen am Ende doch, was sie wollen. Ich möchte jetzt aufhören, nach dem perfekten Laib zu suchen und stattdessen anfangen, was immer auch rauskommt, zu schätzen zu wissen.